Beim Wort ‚Kreditgenossenschaft‘ oder ‚Darlehnskassenverein‘ denken viele zunächst nur an die Vergabe von Krediten. Das war und ist aber nicht alles – die Kreditgenossenschaften vergaben nicht nur Darlehen, sondern dienten auch als Sparkassen. In der Mustersatzung – hier zitiert das erste Statut des Darlehnskassen-Vereins Marlach eGmuH – steht: „Der Verein hat den Zweck, seinen Mitgliedern die zu ihrem Geschäfts- und Wirthschaftsbetriebe nötigen Geldmittel in verzinslichen Darlehen zu beschaffen, sowie Gelegenheit zu geben, müßigliegende Gelder verzinslich anzulegen. Mit dem Verein kann eine Sparkasse verbunden werden.“ 1
Dieses Statut von 1892 soll beispielhaft für alle anderen Kreditgenossenschaften in dieser Zeit stehen. Ein Blick in die Protokolle zeigt, dass alle Vorgängerinstitute der RBKJ immer auch eine Sparkasse betrieben. Ziel: Absicherung der Mitglieder, um für eventuelle Notsituationen vorbereitet zu sein (Vorsorge). Zugleich diente das Geld als Kapital für die Ausleihungen an die Mitglieder, die Kreditbedarf hatten.
Die Geschäfte führte der Rechner…
Wer kümmerte sich, wer wickelte die Geschäfte ab? Die Geschäftsführer oder auch Rendant – im Jargon der Raiffeisen-Organisation „Rechner“2 – waren Mitglieder mit einem etwas höheren Bildungsstand, Männer in Verwaltungsämtern, Lehrer oder Pfarrer – jedoch in der Regel ohne bankkaufmännische Kenntnisse. In Buchenbach hatte der Lehrer Jäger von 1885 bis 1903 die Geschäfte geführt, 1903 bis 1907 der Lehrer Hägele. Dann folgten ein Schmied und ein Landwirt bevor ab 1953 mit Hans Hofmann der erste Bankkaufmann das Amt des Rechners übernahm. In Ingelfingen war der Stiftungspfleger Georg Ott (1893-1905) der erste Rechner, ab 1905 übernahm der Stadtschultheiß Joseph Rilling das Amt (bis 1920). Rilling war zuvor Vorstandsvorsitzender und der Initiator der Ingelfinger Genossenschaftsbank.
Der Rechner hatte alle „Einnahmen und Ausgaben des Vereins auf Grund der Beschlüsse des Vorstandes pünktlich zu bewirken, die Bücher zu führen, sowie die Kassenbestände aufzubewahren“ (§ 23 des Marlacher Statuts), zudem fertigte er den Jahresabschluss an.
Der Rechner durfte weder Mitglied des Vorstandes, noch des Aufsichtsrates sein, denn die jeweiligen Organe kontrollierten sich gegenseitig bzw. der Vorstand den Rechner, der zur Absicherung eine Kaution zu hinterlegen hatte, alternativ einen Bürgen bringen konnte oder ein Faustpfand zu stellen hatte.3 In Sindeldorf, wo 1897 ein Darlehnskassenverein gegründet worden war, leistete der Rechner Frank (Lehrer) eine Kaution von 500 M „mittels Bürgschaft auf sein bei der Gemeindepflege erhobendes Gehalt“.4 Der Rechner erhielt eine kleine Vergütung, die durch die Generalversammlung festgesetzt wurde. Das Gehalt des Sindeldorfer Rechners wurde im März 1898, nachdem das Jahresergebnis vorlag, auf jährlich 30 Mark für die Jahre 1897 und 1898 „bewilligt“.5
Die wichtigsten Hilfestellungen erfolgten im Rahmen der Revision, die mindestens alle 24 Monate vorzunehmen war und seit 1889 gesetzlich vorgeschrieben war. Ausgebildet wurden die Rechner in so genannten Rendantenkursen, die der Genossenschaftsverband anbot. Seit 1946 fand die Aus- und Weiterbildung an der Genossenschaftsschule in Hohenheim statt.6
Ganzheitlich: Bezug von Dünger und Futtermitteln gehörte auch dazu…
Darüber hinaus wickelten viele ländliche Kreditgenossenschaften auch Bezugs- und Absatzgeschäfte für ihre Mitglieder ab, schafften für den gemeinsamen Gebrauch landwirtschaftliche Geräte an. Einige ältere Mitarbeiter der RBKJ und ehemalige Vorstände erinnern sich noch heute, wie die Ausgabe von Dünger oder Kohlen als junge Bankkaufleute oder Lehrlinge zu ihren Aufgaben gehörten.7
In Ingelfingen beschlossen die Mitglieder im Juni 1893 wegen einer enormen Dürre gemeinschaftlich Futtermittel einzukaufen und wer nicht zahlen konnte, dem wurde der Betrag gestundet. Der Sommer 1893 war es überall sehr trocken, wirkte sich in ganz Württemberg erheblich auf die Ernte und damit auf wirtschaftliche Lage der ländlichen Bevölkerung aus. Dies machte sich auch in den Ergebnissen der Kreditgenossenschaften bemerkbar – und ist ein schönes Beispiel für die originäre Aufgabe der Zentralkasse (heute DZ BANK), für den Geldausgleich unter den lokalen Primärgenossenschaften zu sorgen: „In Folge der durch die Trockenheit verursachten Futterernten des Jahres 1893 wurde der Viehbestand stark verringert, so dass grosse Summen Geldes flüssig wurden und der Zentralkasse zuflossen. Diesem raschen Geldzufluss folgte im nächsten Jahre die Reaktion, wo zur Ergänzung des um etwa 20 % dezimierten Viehbestandes und zum Ankauf grosser Mengen Futtermittel erhebliche Kapitalaufwendungen notwendig wurden.“8
So plakativ das Beispiel auch ist, ist doch anzumerken, dass in diesem Krisenjahr 1893/94 die Zentralkasse in Stuttgart erst gegründet wurde. Bis dahin hatte die Königlich Hofbank in Stuttgart den Geldausgleich unter den württembergischen Genossenschaften erledigt und erst jetzt mit der Krise wuchs der Druck, „im Interesse seiner Selbständigkeit […] sowie zur Erreichung einer größeren Unabhängigkeit vom Geldmarkt“ tatsächlich eine eigene regionale Zentralkasse zu gründen.9
1900 wurde der Futter- und Düngemittelhandel der Ingelfingener Kreditgenossenschaft dann als eigene ‚Abteilung‘ fest institutionalisiert. Dies entsprach dem Ansatz Raiffeisens. (Wilhelm Haas hingegen hatte immer wieder die Teilung von Kredit und Ware propagiert und so hatte sich ausgehend von Hessen, u.a. im Rheinland in allen Orten, wo der Reichsverband tätig war, durchgesetzt, dass sich Kreditgenossenschaften um Darlehen und Sparen kümmerten und Bezugs- und Absatzgenossenschaften um den Ankauf von Futtermitteln, Dünger etc.) Auch schaffte man im Lauf der Jahre verschiedene andere Maschinen und Geräte an, welche die Mitglieder leihen konnten.
In Oberkessach, wo wie in Marlach im Frühjahr 1892 eine Kreditgenossenschaft gegründet worden war, beschloss man 1910 die Errichtung einer Grünkerndarre zum Trocknen der Grünkerne (Wintergetreide), die von den Mitgliedern genutzt werden konnte. Die Mitglieder des Darlehnskassenvereins Buchenbach, der bereits 1885 gegründet worden war, und dessen Geschäftsbezirk die Kirchengemeinde Buchenbach umfasste, beschlossen im Sommer 1886 – zu diesem Zeitpunkt hatte die Genossenschaft bereits 104 Mitglieder – die Anschaffung eines Kleesamenreibers (Trieur) zur gemeinsamen Nutzung. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Darlehnskassenvereins Buchenbach schrieb der spätere Aufsichtsratsvorsitzende Pfarrer Paul Krauß (1912-1927): „Mehr als 3 Millionen Mark sind in dieser Zeit umgesetzt worden […], wievielen ist in der Not geholfen, wie manche zu fleißigem, rechnendem Sparen angehalten worden […]; Vorwärtsstrebende fanden hier tatkräftige Unterstützung, durch gemeinsamen Einkauf von Düngemitteln im Großen ist viel erspart worden.“10
Darlehen
Wer einen Kredit wollte, brauchte zunächst das Okay des Vorstandes. Voraussetzung war übrigens immer die Mitgliedschaft. Das Nicht-Mitgliedergeschäft bei Krediten ist erst seit 1974 gesetzlich zulässig. Die Darlehen konnten zu kürzeren Laufzeiten ausgegeben werden, bis zu einem Jahr; auf längere Dauer, bis zu fünf Jahre; oder in laufender Rechnung. Der Vorstand bestimmte bei Bewilligung die Rückzahlungsfristen und auch die „Beträge, in welchen die ratenweise Tilgung stattzufinden“ hatte (§ 30, Statut Marlach). Die Rückzahlungsfristen einzelner Raten konnte der Vorstand verlängern. Darlehen, die auf eine Zeit von über fünf Jahren hinaus verliehen wurden, waren durch die Generalversammlung zu genehmigen. Darlehen an den Vorstand waren immer durch den Aufsichtsrat zu bewilligen.
Im Statut war eine vierwöchige Kündigungsfrist für die Darlehen vorgesehen, von der aber lediglich Gebrauch gemacht werden sollte, 1) wenn „die vom Vereine angeliehenen Kapitalien massenweise gekündigt“ würden, also ein ‚Run‘ auf die Genossenschaft und damit ein Abheben aller Spargelder stattfinden würde, oder wenn die Zentralkasse alle Anleihen der Genossenschaftsbank kündigen würde. 2) wenn der „Vereinsschuldner“ oder dessen Bürge in „Verhältnisse geraten, welche die Sicherheit der Darlehen gefährden“ (§ 30).
Grundsätzlich galt – zum Schutz der Genossenschaft und aller Mitglieder, die, da bis in die 1960er Jahre die meisten Kreditgenossenschaft noch in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht eingetragen waren: safty first. Die „Sicherstellung“ aller Darlehen und Konten in laufender Rechnung musste in allen Fällen in „ausreichender Weise stattfinden, daß für den Verein keinerlei Gefahr“ vorhanden war (§ 31). Die Sicherstellung durfte durch einen Bürgen, ein Faustpfand (etwa Wertpapiere) oder Unterpfänder (etwa Hypothek) erfolgen. Wozu wurden die Darlehen verwendet?