Krisen und Wiederaufbau

Beitrag 5: Krisen und Wiederaufbau

Der Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg (Stuttgart) zählte für 1925 1.417 Darlehnskassenvereine.1 Anders als bei den gewerblichen Genossenschaften stieg die Zahl der ländlichen Kreditgenossenschaften zwischen 1915 und Mitte der 1920er Jahre um rund 2.000 auf etwa 13.000, die dem Reichsverband angehörten.2 Im Stammbaum der Raiffeisenbank Kocher-Jagst ist die Spar- und Darlehnskasse Winzenhofen eine solche – verhältnismäßig – späte Gründung (gegr. 1925, später Fusion als Raiffeisenkasse Winzenhofen mit der Raiffeisenbank Westernhausen). Neben diesem Wachstum gab es aber auch immer wieder kritische Stimmen, ob das Prinzip der Selbsthilfe nicht längst überholt sei, zumal vielerorts die kleinen Genossenschaftsbanken den Kreditanfragen sowohl in Menge als auch im Umfang nicht nachkommen konnten.

 

Abbildung: Auszug aus dem Protokollbuch der Spar- und Darlehnskasse Sindeldorf eGmuH (1935) (Quelle: Archiv der RBKJ).

Abbildung: Auszug aus dem Protokollbuch der Spar- und Darlehnskasse Sindeldorf eGmuH (1935) (Quelle: Archiv der RBKJ).
    Genossenschaften

 


Jahr Verbände Zentral- Kredit- Bezugs- Molkerei
Gesamt
1884 (Anfang)
10 - - - - 278
1885 10 - - 402 55 457
1895 21 26 1.032 742 600 2.446
1905 40 70 11.533 1.843 1.682 16.163
1915 29 58 9.963 2.225 1.947 16.741
1925 27 89 12.842 4.236 6.063 25.685

Tabelle: Anzahl der Mitglieder des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (1884-1925). (Quelle: Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zu Berlin, Taschenbuch, S. 261. – 1905 sind die Genossenschaften und Unterverbände des Generalverbandes der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften mit aufgeführt, da der Generalverband sich vorübergehend dem Reichsverband angeschlossen hatte.)

Abbildung: Altes Amtshaus Bühlhofer Straße: hier waren die Geschäftsräume der seit 1935 als Spar- und Darlehnskasse Ingelfingen eGmuH firmierenden Ingelfinger Bank von 1920 bis 1956 untergebracht. Seit 1920 seien alle Gewerbetreibenden von Ingelfingen Mitglied der Bank, so einen bankeigene Notiz. (Quelle: Festschrift 1993, S. 15)
Abbildung: Altes Amtshaus Bühlhofer Straße: hier waren die Geschäftsräume der seit 1935 als Spar- und Darlehnskasse Ingelfingen eGmuH firmierenden Ingelfinger Bank von 1920 bis 1956 untergebracht. Seit 1920 seien alle Gewerbetreibenden von Ingelfingen Mitglied der Bank, so einen bankeigene Notiz. (Quelle: Festschrift 1993, S. 15)

Nach der Krise – vor der Krise: 1920er Jahre

Kurze Phasen „günstiger wirtschaftlicher Entwicklung“3 in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und in den 1930er Jahren (der gewerbliche Mittelstand und die Landwirtschaft profitierten nach wirtschaftlich instabilen Jahren ab 1926 endlich von einer verbesserten Wirtschaftslage4) wurden vielfach „von den fast traumatischen Erfahrungen, die die Menschen während der Kriege, der Hyperinflation mit der Währungsreform und der Weltwirtschaftskrise machten“5 , überlagert. Die Ingelfinger Bank hatte 1926 bereits 330 Mitglieder und profitierte vom Konkurs der benachbarten Spar- und Hypothekenbank, konnte dadurch neue Mitglieder gewinnen.6 Der Darlehnskassenverein in Niedernhall hatte zu dieser Zeit etwa 80 Mitglieder, die umliegenden Kreditgenossenschaften waren ähnlich groß, z. B. hatte der Darlehnskassenverein Eberstal 1925 70 Mitglieder. An der Art der Geschäfte hatte sich seit der Gründung wenig geändert…

 

NS-Zeit

Wenn wir an dieser Stelle kaum etwas über die Jahre 1933 bis 1945 schreiben, so liegt das ausschließlich an der dünnen Quellenlage für diese Zeit – viele Protokolle enthalten nur sehr kurze Notizen über die Ergebnisse der Sitzungen. In einigen Fällen lässt sich dennoch ablesen, wie das NS-System auf die Primärbankenebene durchgriff und damit Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Genossenschaften nahm.

Die Mittelstandsorientierung und die demokratischen Prinzipien des Genossenschaftswesens standen im Widerspruch zur NS-Ideologie und zum völkischen Gedankengut. Unmittelbar nach der Machtergreifung wurde der Vorsitzende der Reichsführergemeinschaft Walter Darré neuer Verbandspräsident und der Verband anschließend in den Reichsnährstand eingegliedert7 und die Genossenschaften mussten ab 1934 ein das Führerprinzip aufgreifendes und die NS-Ideologie (Gemeinnutz vor Eigennutz) entsprechendes Einheitsstatut annehmen.

Mit der Gleichschaltung8 waren eigentlich auch Vorstand und Aufsichtsrat neu zu wählen, die amtierenden Mitglieder sowie der Rechner hatten ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Nicht überall wurde diese Neuwahl vorgenommen, an anderen Stellen ist expressis verbis von Gleichschaltung zu lesen – meist jedoch, ohne dass sich dann mit den Wahlen etwas in der Zusammensetzung der Gremien änderte. Der Autor der Festschrift anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Raiffeisenbank Neidernhall eG kam nach der Auswertung der Protokolle der Bank (diese liegen uns heute Infolge des Hochwassers 2016 nicht mehr vor) zu dem Ergebnis, dass man „kaum etwas von Euphorie“ spürte, dass in dem „Verein eine eher sachliche, an den Bedürfnissen der Landwirtschaft orientierte Atmosphäre geherrscht“ zu haben scheint.9 Zumal in Niedernhall die Neuwahl im Rahmen der Gleichschaltung nicht so einfach waren: Friedrich Fahrenbach, seit 1920 der Vereinsvorsteher, und Fritz Brändlein, Aufsichtsratsmitglied, konnten nicht wieder gewählt werden – Brändlein saß wegen seiner KPD-Mitgliedschaft bereits seit Frühjahr 1933 in Schutzhaft.10 Das waren nicht nur für die betroffenen Menschen und deren Familien erhebliche persönliche Einschnitte, auch wurde die Genossenschaftsarbeit durch eine solche Entwicklung erschwert.

 

Abbildung: Friedrich Fahrbach, Vorstandsvorsitzender 1920-1933  (Quelle: Raiffeisenbank Niedernhall eG, Festschrift, 1988, S. 15)
Abbildung: Friedrich Fahrbach, Vorstandsvorsitzender 1920-1933 (Quelle: Raiffeisenbank Niedernhall eG, Festschrift, 1988, S. 15)

Schauen wir einmal in eine der kleineren, sehr ländlich geprägten Kreditgenossenschaften im Stammbaum der RBKJ. Auch hier kann man aus den Protokollen eine eher sachliche, an den Bedürfnissen der Landwirtschaft orientierte Geschäftsführung herauslesen: Der Darlehnskassenverein Sindeldorf eGmuH wurde 1897 gegründet und hatte 1935 68 Mitglieder. In der Generalversammlung am 2. Juni 1935 verlass der Vorsitzende des Vorstandes (Vorsteher) Franz Grübel das neu anzunehmende Einheitsstatut – „dieselben wurden durch öffentliche Abstimmung einstimmig angenommen“.11 (Die offene Abstimmung, auf Zuruf oder durch Aufstehen, hatte in den meisten Genossenschaften seit jeher stattgefunden.)12 Eine Alternative zur Annahme des Statutes gab es im Grunde nicht – allein durch die Eingliederung des Verbandes in den Reichsnährstand und die regelmäßige Revision durch den Verband konnte man solche Änderungen versuchen, auszusitzen, diese blieben aber von den NS-Organisationen nicht unbemerkt. Dass die Orientierung an den Bedürfnissen der Landwirtschaft in der täglichen Arbeit im Mittelpunkt stand, zeigt u. a. die Beibehaltung der Bestimmungen für den Mitgliederbeitrag. Aufgrund des sozio-ökonomischen Status der Mitglieder sah man es als unabdingbar, den Passus über die Pflichteinzahlung zu modifizieren und den Betrag auf zehn Reichsmark zu belassen, „da hier fast lauter kleinbäuerliche Betriebe sind u. manches Mitglied nicht in der Lage wäre denselben zu bezahlen“13.

Nach seiner Prüfung am 13. Januar 1937 war der Verbandsprüfer Jäger zufrieden mit der Entwicklung der Geschäftsführung der Genossenschaft, ermahnte jedoch die Mitglieder „in Zukunft noch mehr mit ihrer Dorfkasse zu arbeiten“. Dies gelte „insbesondere der Hebung der Spareinlagen und der Förderung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs“.14 Ermahnungen, die wir auch aus vorangehenden Zeiten kennen. Der Prüfer sprach jedoch auch das Thema Geschäftsanteil an: Die Volleinzahlung der Geschäftsanteile sei durch die „Bekanntgabe der neuesten Bestimmungen im Kreditwesen (…) begründet“. Um den Mitgliedern eine solche Zahlung entsprechend ihrer Einkommenssituation auch wirklich möglich zu machen, beschloss die Generalversammlung „die Volleinzahlung des Geschäftsanteils in jährlichen Raten à RM 5,-“15

Zugleich war wegen des Inkrafttretens des Reichsbürgergesetz16 eine Änderung des Statuts in Paragraph 3 Absatz 1 „notwendig“ geworden. „Entsprechend dem Vorschlag des Reichsverbandes der deutschen landw. Genossenschaften e.V.“ wurde sodann „einstimmig beschlossen (…) dem § 3 Abs. 1 folgende Fassung zu geben: Die Mitgliedschaft können erwerben 1) alle Personen, die die blutsmäßigen Voraussetzungen für den Erwerb des vorläufigen Reichsbürgerrechts erfüllen, sich durch Verträge verpflichten können & ihren Wohnsitz in Sindeldorf haben.“17 Die gleichen Änderungen finden wir in den Protokollen z. B. der Spar- und Darlehnskasse Eberstal. Das Protokollbuch der Sindeldorfer Genossenschaft ist nach diesem Eintrag voll, weitere Protokolle liegen uns nicht vor; Die Quellenlage ist nicht ausreichend, um über die Auswirkungen vor Ort etwas sagen zu können.

Fußnoten

1 Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zu Berlin: Taschenbuch, 1926, S. 289.

2 Entwicklung der Mitglieder des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Schlütz, Frauke: Wilhelm Haas. In: Sozialreformer, Modernisierer und Bankmanager. Biographische Skizzen aus der Geschichte des Kreditgenossenschaftswesens. Hg. v. Institut für Bankhistorische Forschung e.V. im Auftrag der DZ BANK AG, München 2016, S. 191-212, hier S. 200.

3 Ambrosius, Gerold: Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft 1914-1945. In: North, Michael (Hg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, 2. Auflage München 2005, S. 287-355, hier S. 287.

4 Bormann, Patrick/Scholtyseck, Joachim/Wixforth, Harald: Die kreditgenossenschaftlichen Zentralinstitute vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur bedingungslosen Kapitulation des NS-Staates (1914-1945). In: Guinnane, Timothy u. a. : Die Geschichte der DZ BANK. Das genossenschaftliche

5 Ambrosius, Gerold: Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft, S. 287.

6 100 Jahre Ingelfinger Bak – Raiffeisen – eG. 1893-1993, S. 14.

7 Reichsnährstandgesetz, 1933.

8 Ausführlich hierzu ten Haaf, Hermann-Josef: Kreditgenossenschaft im „Dritten Reich“. Bankwirtschaftlichen Selbsthilfe und demokratische Selbstverwaltung in der Diktatur (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte 16), Ostfildern

9 100 Jahre Raiffeisenbank Niedernhall eG (Festschrift), S. 15.

10 Ebd. Brändlein (geboren 5. Januar 1891) war Mitglied der KPD. Er wurde am 10. April 1945 durch die US-Armee als Bürgermeister von Niedernhall eingesetzt. Siehe Der Hohenlohekreis: Die Gemeinden, historische Grundlagen und Gegenwart (Fortsetzung): Künzelsau bis Zweiflingen, 2006; Weik, Josef: MdL, die Abgeordneten der Landtage in Baden-Württemberg, 1946-1978. Biograph. Gesamtverz. d. Abgeordneten d. Länder Baden, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern 1946-1952, Baden-Württemberg 1952-1978, Stuttgart 1978, S. 101; Friedrich Fahrbach (geboren 8. Januar 1883, gestorben 1954) wurde 1946 vom Gemeinderat zum Bürgermeister gewählt (bis 1948).

11 Archiv der RBKJ, Protokollbuch Generalversammlung, Sindeldorf, Eintragung vom 2. Juni 1935.

12 Schlütz, Frauke: Ländlicher Kredit. Kreditgenossenschaft in der Rheinprovinz (1889-1914) (Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung 25), Stuttgart 2013, S. 215-217.

13 Archiv der RBKJ, Protokollbuch Generalversammlung, Sindeldorf, Eintragung vom 2. Juni 1935.

14 Archiv der RBKJ, Protokollbuch Generalversammlung, Sindeldorf, Eintragung vom 25. April 1937.

15 Ebd.

16 1935, eines der Nürnberger Rassegesetze.

17 Archiv der RBKJ, Protokollbuch Generalversammlung, Sindeldorf, Eintragung vom 25. April 1937.